Einführung in die feministische Sprachwissenschaft
Sprachwandel unter dem Einfluß der Frauenbewegung
Sprachwandel ist die Veränderung der Sprache. Zum Sprachwandel gehören Neuprägungen, Verschwindung der Wörter und auch die Bedeutung von Wörter unterliegt dem Sprachwandel. Die Veränderung der Sprache ist nicht „natürlich“, sondern hängt von den Sprecherinnen und Sprechern einer Einzelsprache ab, die ihn vollziehen. Im 1986 hat Schräpel die Sprachwandelphänomene neu kategorisiert und unterscheidet finalen, nichtintendierten und unbewußten Sprachwandel. Der Sprachwandel findet immer statt.
Das Feminismus hat die Sprachwandel sehr beinflußt. Die feministisch motivierte Sprachkritik hat bei Sprechern dazu geführt, das Maskulinum überhaupt nicht mehr zu verwenden. Seit mehr als fünfzehn Jahren beginnt sich das Sprachdenken in diesem Bereich zu verändern. Die feministisch initiierte Sprachwandel wird vor allem bei den neuen Indefinitpronomen und den femininem Berufsbezeichnungen deutlich. Diese Wortneuprägungen, Ableitungen auf –in und Komposita mit –frau sind gute Beispiele für eine Feminisierungstendenz innerhalb der Sprache der Gleichbehandlung.
Das Indefinitpronomen „man“
Das Indefinitpronomen man ist neutral, es umfaßt singularische und pluralische Vorstellungen vom Menschen. Etymologisches Wörterbuch des Deutschen sagt: Die alte Bedeutung des Substantivs Mann, nähmlich „Mensch“, ist erhalten in jemand, niemand und im Indefinitpronomen man. Die feministische Sprachwissenschaft kritisiert, dass man männlich semantisiert sei und deshalb parallel dazu ein Pronomen für die Bedeutung weiblich fehle.
Und die Lösung ist das Indefinitpronomen frau.
Das neue Indefinitpronomen frau ersetzt das Indefinitpronomen man, wenn ein weiblicher Zusammenhang gegeben ist.
z.B. : Wie kann man seine Schwangerschaft feststellen?
Dieser Satz klingelt für viele Frauen befremdlich.
Grammatisch verhält es sich anders als man. Es kann im Nominativ sowohl durch sie als auch durch frau wieder aufgenommen werden.
Andere neue Pronomen sind zum Beispiel jedefrau anstatt jedermann, dann jefraud und niefraud. Zum Pronomen frau gibt es auch die Alternative des klein geschriebenen mensch.
Es kam auch zur Feminisierung von wer und jemand. Z.B. der Satz: Wer kann mir sein Fahrrad leihen? Lautet dann: Wer kann mir ihr Fahrrad leihen?
Der Satz verletzt die grammatische Kongruenzregel, aber ist feministisch kongruent.
1860 wurde das Bürgerliche Gesetzbuch um den Paragrapfen 611 b ergänzt. Es bedeutet: Der Arbeitsgeber darf einen Arbeitsplatz nicht nur für Männer oder nur für Frauen ausschreiben. Es werden weiterhin geschlechtesspezifische Bezeichnungen für ein Geschlecht allein nicht verwendet, wie „Junger Kaufmann gesucht“ oder „Fachverkäuferin versucht“. Die Tendenz der sprachlichen Feminisierung setzt sich bei Berufsbezeichnungen trotzt solcher Schwierigkeiten in der Praxis fort. Feminine Berufsbezeichnungen werden normativ festgelegt.
Mit Berufsbezeichnungen befaßt sich einige Sprachwissenschaftlerinnen, z.B. Els Oksaar, Guentherodt und Wittemöller. Nach Oksaar ist nicht für die Leute gleichgültig, wie sie in ihrer Erwebstätigkeit bezeichnet werden. Sie befasst sich mit Nomina agentis. Für die Bildung der Maskulina sind Suffixe –er, -ler, -ner, -ist, -mann. Guentherodt befasst sich mit femininem Berufsbezeichnungen aus ausdrücklich feministischer Sicht. Die weiblichen Berufsbezeichnungen sind für die Frauen wichtig, weil sie mit der Identität, der Selbstachtung und der Würde des Menschen zu tun habe. Wittemöller sagt: „Die Frauen streben nach Selbstverwirklichung im Beruf und fordern die Gleichberechtigunug am Arbeitsplatz ein.“
Movierung (Motion, Femininableitungen auf –in) ist die häufigste Art, aus maskulinen Berufsbezeichnungen feminine zu bilden. Andere feminine Kompositionsglieder formen sich mit –frau, -mädchen.
Wittemöller zählt allein 17 feminine Fremdsuffixe, die auch ins Deutsche übernommen sind. Z.B. –euse, -e (Garderobiere), -ess/eß (Hosteß), -ette (Chansonette).
Einige der Berufsbezeichnungen für Frauen, vor allem im Bereich der Krankenpflege, sind von Verwandtschaftsbezeichnungen abgeleitet (Krankenschwester) oder anders biologisch motiviert (Hebamme). Die ersten, die sich der Krankenpflege widmeten, waren die Ordensschwester, nicht die –brüder. Damit lange fehlt die entschprechenden maskulinem Bezeichnungen. Bestimmte Wortpaare sind asymmetrisch. Dies ist der Fall, wenn für männliche Berufstätige, die in typischen Frauenberufen arbeiten, eine Entsprechung erst noch gefunden werden musste, während die feminine Berufbezeichnung feststand. Männliche Variante für Hebamme ist Entbindungspfleger und für Schwesterhelferin Krankenpflegehelfer.
Es gibt einige Wörter, die durch neutrale Variante erzetzen würde. Es geht um Student, Beamter, Kaufmann. Die Studenten und Studentinnen sind Studierende, der Beamter ist der Beamte und Kaufmann Kaufperson.
In der Rechtssprache wird bis heute ausschließlich das Maskulinum Singularis verwendet. Mann und Frau werden also Singularbezeichnungen wie der Minderjährige, der Kläger, der Berufstätige bezeichnet. Die deutsche Rechtssprache wurde wegen generisch Ausdrücke als männlich bewertet und damit kritisiert. Die Gleichbehandlung von Frauen und Männern in der Rechtssprache ist Teil des Sprachwandels, der von der Frauenbewegung initiiert wurd.
Amts- und Funktionbezeichnungen gehören zu den Personenbezeichnungen in der Amtssprache, mit denen Personen in ihrer Tätigkeit oder Qualifikation bezeichnet werden. In den Bundesbesoldungsordnungen ist geregelt, dass Beamtinnen Anspruch auf eine feminine Amtsbezeichnung haben. Z.B. der Beamte – Die Beamtin, der Amtmann – die Amtfrau.
Im Gesetzetexten, Rechtsverordnungen, Satzungen oder Benutzungsordnungen wird das generische Maskulinum Singularis benutzt. Die Empfehlung der Arbeitsgruppe Rechtssprache lautet, Umschreibung mit Person oder Substantive auf –ung zu verwenden (also Neutralisierung).
Neben den natürlichen Personen kennt die Rechtssprache auch juristische Personen. Sie sind abstrakt gedachte Personen oder sogenannte Personifikation. Die Personifikationen haben, wie die natürliche Personen auch, in der Rechtssprache die Form maskuliner Personenbezeichnungen. Aber z.B. der Käufer kein Mensch ist, deshalb brauche nicht moviert oder feminisiert zu werden.
Nach dem niedersächsischen Recht werden juristische Personen weiterhin mit dem Maskulinum Singularis bezeichnet.
Die Frauen wollen nicht die Personenbezeichnungen mit dem Sufix –herr benutzen. Auch Suffix –herrin empfunden sie als diskriminierend. Zum Beispiel die Dienstherrin oder Bauherrin. Die Dienstherrin ersetzten die Frauen durch Arbeitgeberin.
Im diesen Kapitel Sprachwandel unter dem Einfluß der Frauenbewegung wird gezeigt, wie die Forderungen der feministischen Sprachwissenschaft einen Sprachwandel beeinflusst haben. Der Schwerpunkt liegt auf den personenbezogenen Pronomen und den weiblichen Berufsbezeichnungen. Immer mehr Frauen lehnen das Indefinitpronomen man ab und benutzen das neue Indefinitpronomen frau. Die männliche Suffixe in Berufbezeichnungen ersetzen die Frauen durch –frau, -in. Auch in der Gleichbehandlung in der Rechtssprache setzten sie sich durch.
Quelle:
Samel, Ingrid: Einführung in die feministische Sprachwissenschaft (2. überarbeitete und erweiterte Auflage), Berlin, 2000. (Seite 87-122)